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Den Erfolg von Shades of Grey verstehen und würdigen

Erfolgsfaktor Nummer 2: Das Gefühl vermittelt bekommen, einzigartig zu sein
Mehr als auf die Romanfiguren Anastasia oder Christian beziehe ich diesen Faktor auf die Leserinnen. Denn was versinnbildlicht Anastasia?

Ich halte fest: Sie ist mit 21 immer noch Jungfrau. Es liegt nicht an ihrem Aussehen, einer religiösen Einstellung, einer körperlichen oder psychischen Krankheit. Sie lebt in einem freien, aufgeschlossenen Umfeld (im weltweiten Vergleich) mit vielen Menschen, freier potenzieller Partnerwahl. Aber Anastasia hat einfach nur noch niemanden gefunden, den sie für Sex ernsthaft in Betracht gezogen hatte oder zumindet mit der Vorstellung gespielt … (Ich sitze jetzt gerade vor der Tastatur und ziehe ein Auge herunter).
Natürlich, wenn eine Frau zum Beispiel von der Familie unterdrückt und davon abhalten wurde, mit einem Mann ihrer Wahl Sex zu haben, ist das ein anderes Thema. Aber bei so einer Frau wie Anastasia ist das unglaubwürdig. Worauf ich hinauswill, ist, dass sie eines von mehreren Attributen aufgelegt bekommt, das vor allem das Ziel hat, sie einzigartig zu machen.

Doch damit nicht genug. Selbstverständlich hat sie, und nur sie, dieses gewisse Etwas, das den sexy Milliardär Christian in sie verlieben lässt.
Und sie ist es, die den schier undurchdringbaren Christian sicherlich knackt, ihn irgendwann dazu bringt, sich ihr zu öffnen. Sonst keine. Welche Frau würde sich nicht gerne diesen Einfluss zuschreiben?

Anastasia verkörpert eine Unschuld, die ihresgleichen sucht, nicht nur durch ihre Jungfräulichkeit. Sie muss als durchaus gebildete Frau mit 21 Jahren noch bei Wikipedia das Wort »devot« nachschauen. Ja ne, ist klar … Zum Vergleich: Bella aus Twilight war zwar auch noch Jungfrau, aber sie war jünger, als sie Edward als potenziellen Sexualpartner auserkoren hat. Außerdem schwebte bei Bella immer die Dreiecksbeziehung mit.
Bei Anastasia ist das anders: Sie muss erst in die Zwanziger kommen, um überhaupt den potenziellen Sexualpartner kennenzulernen. Und sie will nur ihn und niemand anderen. Sie ist so hell und rein, dass sogar die Sonne Minderwertigkeitskomplexe bekommen muss, wenn sie sie jeden Tag erblickt.
Anastasia ist einzigartig und so ganz und gar nicht gewöhnlich, wie es oberflächlich gesehen erscheinen soll. Und die Leserinnen, die sich in dieser Figur wiederfinden wollen, fühlen sich von diesem Punkt angezogener als von sonst einem anderen. Hier wird im Prinzip ein narzisstisches Verlangen befriedigt. Ich möchte das hier nicht verurteilen. Aber mir ist wichtig, diesen Mechanismus zu verstehen und verdeutlichen. Shades of Grey ist als Unterhaltung konzipiert. Warum sollte eine Geschichte das Gefühl von Einzigartigkeit nicht befriedigen?

Wenn Männer sich rein emotional mit einem Actionhelden identifizieren, der als Kampfmaschine für Gerechtigkeit sorgt, wo alle anderen versagen und deshalb zu ihm aufschauen, ist das meistens im Prinzip nichts anderes.

Erfolgsfaktor Nummer 3: Das Handwerk
Ich möchte hier auf eine wichtige Unterscheidung zwischen dem stilistischen und dem erzählerischen Handwerk aufmerksam machen.

Zum Schreibstil
Der wurde teils heftig kritisiert, vor allem sei er redundant. Und ja, da kann ich nur zustimmen. Aber hat das den Roman weniger erfolgreich gemacht, als er hätte sein können? Diese These ist in Bezug auf die Verkaufszahlen absurd. Ich gehe hier sogar einen Schritt weiter zu behaupten, dass der Schreibstil wesentlich zum Erfolg beigetragen hat. Ja, die Formulierungen wiederholen sich nur allzu deutlich und wirken teils wie Kaffeeklatsch-Niveau. Aber Menschen reden – und denken – in der Realität nun mal auch nicht so wie ein mehrfach überarbeiteter Text. Dieser Schreibstil kann also durchaus dazu beigetragen haben, dass Anas Gedanken umso authentischer aufgenommen werden. Der Roman ist letztlich bei den großen Verlagen gelandet, und diese haben das Buch mit Samthandschuhen angefasst (sonst wäre ein anderer Roman herausgekommen). Ich denke, ihnen wird ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf gegangen sein.

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